Wie kann man Barrieren in den Köpfen abbauen und echte Inklusion schaffen? In der 32. Synergiewerkstatt des Netzwerks ‚Synergie durch Vielfalt‘ haben wir folgende Lösungen gefunden:
10 Tipps, um mit Diversity & Disability durchzustarten:
1. Mutig sein.
2. Klein anfangen.
3. Mitmacher_innen und Mutmacher_innen finden.
4. Schulterschluss zwischen Schwerbehinderten-vertretung und Diversity Management schaffen.
5. Perspektivenwechsel anstoßen.
6. Potenzialorientierung statt Defizitdenken.
7. Netzwerk für Inklusion gründen.
8. Persönliche Geschichten berichten lassen.
9. Austauschmöglichkeiten schaffen.
10. Individuelle Lösungen finden.
Ergebnisse
Dr. Petra Köppel zitierte zur Definition von Menschen mit Behinderung die Behindertenrechtskonvention der UN 2009, nach der als „behindert“ die Menschen gelten, „die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ Doch leider ist Deutschland weit von einer inklusiven Gesellschaft entfernt. Die Zahl von Menschen mit Behinderung steigt, 33% von ihnen fühlen sich einsam und über 11% sind arbeitslos – weit mehr als Menschen ohne Beeinträchtigung. Daher ist das Diversity Management nun endlich aufgefordert, sich auch um die Dimension ‚Behinderung‘ zu bemühen und die Arbeit der Schwerbehindertenvertretungen zu unterstützen. Damit wird erstens eine strategische Verankerung geschaffen. Zweitens sollte auf Potenziale fokussiert werden und drittens bei Inclusion auch an Menschen mit Behinderung gedacht werden.
Stefan Kiefer, Geschäftsführer des Charta der Vielfalt e.V., und Niko Kappel, Paralympic-Sieger und Weltmeister im Kugelstoßen, erzählten aus ihrer Erfahrung: „Wer ist hier behindert? Barrieren im Kopf abbauen.“ Stefan Kiefer mit 1,93 Meter Körpergröße passt kaum in ein Hotelbett und plädierte für Offenheit auf beiden Seiten. Die Bereitschaft, Vorurteile gemeinsam abzubauen, trägt dazu bei, in der Arbeitswelt ein Klima der Wertschätzung und des Respekts aufzubauen. Niko Kappel, der sich mit 1,41 Meter als „Größerer unter den Kleinwüchsigen“ bezeichnete und nach eigenen Angaben die Bettdecke auch quer verwenden kann, plädierte dafür, die Stärken eines Menschen zu sehen. Gerade im Sport, in dem Körperlichkeit wesentlich ist, stellen Menschen schnell fest, in welcher Disziplin sie gut sind. Genauso sollten Arbeitgeber die Stärken ihrer Mitarbeitenden erkennen und sie danach einsetzen. Meist sind es Barrieren im Kopf, welche Menschen in ihrer Leistung behindern. Und die gilt es gemeinsam abzubauen!
Nicole Simba, Expertin für Inklusion vom Bezirk Oberbayern, berichtete davon, wie unter ihrer Leitung der Aktionsplan Inklusion für den Bezirk entwickelt wurde. In einem umfassenden Projektmanagement wurde das ‚Leitbild Inklusion’ des Bezirks Oberbayern und die UN-Behindertenrechtskonvention als Basis für eine strukturierte Umsetzung genommen. Dabei wurden Mitarbeiter_innen mit sichtbaren sowie nichtsichtbaren Behinderungen und allen Abteilungen einbezogen, um gemeinsam Ziele und Maßnahmen zu erarbeiten. Dabei standen 3 Stränge im Fokus: Informations- und Akzeptanzmanagement, Bewusstseinsbildung und Strukturplanung. Zu bewusstseinsbildenden Maßnahmen gehörten ein Rollstuhl-Parcours, die Aktion Blindsein-Erleben, ein eindrücklicher Vortrag über die sozialpolitische Bedeutung von Inklusion sowie eine Ausstellung mit Phil Hubbe-Cartoons. Inzwischen ist das Projekt erfolgreich abgeschlossen. In der Nachfolge wird nun ein neuer Fachbereich Vielfalt und Inklusion aufgebaut.
Alfons Adam, Gesamtvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen in der Daimler AG, erzählte von seinen jahrzehntelangen Erfahrungen im Einsatz für Inklusion und zu seinem aktuellen Projekt, nämlich die digitale Barrierefreiheit bei Daimler. Seiner Erfahrung nach sind 90% der Schwerbehinderungen nicht sichtbar. Adam zufolge gibt es in Deutschland auch gut gestaltete Gesetze zur Einbeziehung, doch fehlen bei Verstößen die Rechtsfolgen, sodass Deutschland „nicht inklusionsfreundlich ist“. Drei Appelle hielt Adam bereit: bei der Sensibilisierung verdeutlichen, dass Barrierefreiheit nicht nur für Schwerbehinderte, sondern potentiell für alle Mitarbeiter_innen hilfreich ist; das Thema auf Vorstandsebene ansiedeln und von dort die Menschen ansprechen lassen; den Schulterschluss mit Diversity Management suchen. Auch Behindertenverbände arbeiten oft parallel und sollten zur Zusammenarbeit motiviert werden.
Workshop 1: Ein Inklusionsnetzwerk aufbauen – Erfahrungen der ERGO (Bianca Boudein, Diversity Managerin ERGO Group, & Sonja Kluth, Sprecherin des Inklusionsnetzwerks der ERGO Group)
Den Mut haben, klein anzufangen und stetig zu kommunizieren, das steht am Anfang jeder Netzwerkarbeit. Dazu sind Mitmacher_innen und Mutmacher_innen gefragt: Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen müssen den Mut aufbringen, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Workshop 2: Menschen mit Beeinträchtigung einbeziehen – Vorgehensweise und Erfolgsfaktoren (Nicole Simba, Bezirk Oberbayern)
Offenheit auf allen Seiten fördern und den Mut für individuelle Lösungen finden: Inklusion kann nicht übers Knie gebrochen werden, sondern muss maßgeschneiderte Arbeitsplätze je nach Anforderungen sowohl des_r Arbeitnehmer_in als auch der Stelle bieten.
Workshop 3: Den Dialog anstoßen und Hemmungen abbauen – Menschen mit und ohne Behinderung ins Gespräch bringen (Dr. Petra Köppel, Synergy Consult)
Wissen und Erfahrungen bauen Unsicherheit ab und machen Mut. Eine Fehlerkultur erlauben, Dialog-Events gestalten, Unconscious Bias-Spiele anbieten, Kontakte zwischen Menschen mit und ohne Behinderung ermöglichen sowie Wissen über Beeinträchtigungen vermitteln – das waren fünf konkrete Empfehlungen dieser Gruppe.
Porträts der Referent_innen
Alfons Adam – Daimler AG
Alfons Adam ist seit 1981 bei Mercedes beschäftigt, zunächst als Instandhalter im Presswerk am Standort Bremen. 1994 wurde er in die Schwerbehindertenvertretung im Werk Bremen gewählt. Seit 2000 ist er Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen im Werk Bremen, seit 2007 Gesamtvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen in der Daimler AG. 2011–2018 war er zusätzlich Konzernvertrauensperson. Zudem ist er Vorstandssprecher des Arbeitskreises der Schwerbehindertenvertretungen (SBV) in der Deutschen Automobilindustrie sowie Sprecher und Gründungsmitglied des Bundesnetzwerks der SBV. 2020 wurde Adam mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Bianca Boudein – ERGO Group AG
Bianca Boudein ist Diversity Managerin bei der ERGO Group AG in Düsseldorf. In ihrem Verantwortungsbereich liegen zahlreiche ‚Diversity Management‘-Projekte. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Dialog- und Veranstaltungsformate, digitale Inhalte im Rahmen von Diversity und die Koordination der fünf Mitarbeitenden-Netzwerke bei ERGO. Im Zentrum ihrer Tätigkeit steht der stetige Dialog mit unterschiedlichen Personen, der die Unternehmenskultur fördert. Ziel der jährlich stattfindenden diversen Dialogveranstaltungen, wie z.B. der Diversity Day oder die Generationen-Werkstatt, ist es, bewusst einen Rahmen zu schaffen, in dem miteinander und nicht übereinander geredet wird. Boudein führt zudem Diversity-Seminare für unterschiedliche Zielgruppen durch – für Führungskräfte, Azubis sowie für Teams.
Niko Kappel – VfB Stuttgart
Niko Kappel ist ein deutscher Behindertensportler der Startklasse F41 (Kleinwüchsige Athleten), der sich auf das Kugelstoßen spezialisiert hat. Sein bis dato größter Erfolg ist die Goldmedaille bei den Paralympics 2016 in Rio de Janeiro. 2017 wurde er Weltmeister, 2018 Vizeeuropameister und 2019 zum wiederholten Male Vizeweltmeister. 2020 beteiligte sich Kappel zur Überbrückung der wettkampflosen Zeit während der Covid-19-Pandemie und der Verschiebung der Sommer-Paralympics 2020 auf 2021 an den Parantänischen Spielen 2020, einer 14-tägigen Serie sportlich-spaßiger ‚Wettkämpfe‘ in häuslicher Quarantäne. 2016 und 2017 wurde er als Behindertensportler des Jahres ausgezeichnet. 2021 erhielt er den DJK-Ethik-Preis des Sports.
Stefan Kiefer – Charta der Vielfalt
Stefan Kiefer ist seit Januar 2021 Geschäftsführer des gemeinnützigen Vereins Charta der Vielfalt e.V. in Berlin. Bis Dezember 2020 war er Vorstandsvorsitzender der Stiftung der Deutschen Fußball Liga (DFL), die sich vor allem um die Themen Integration und Inklusion sowie das gesunde und aktive Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen einsetzt und den Nachwuchs der olympischen, paralympischen und gehörlosen Sportlerinnen und Sportler fördert. Von 2000 bis 2014 war er in verschiedenen Funktionen für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) tätig und hat in dieser Zeit nebenberuflich die erste Ehrenamtlichen-Organisation im deutschen Profifußball bei Hannover 96 aufgebaut und 10 Jahre lang geleitet.
Sonja Kluth – ERGO Beratung und Vertrieb AG in Hamburg
Sonja Kluth ist seit 1985 im Versicherungsgewerbe und seit 1996 im ERGO-Konzern (damals Victoria) als Firmenkundenberaterin Komposit tätig. 2018 gab es ihre ersten Begegnungen mit „Inklusion“, Im Oktober 2019 wurde sie Mitbegründerin des Netzwerks „Inklusion“ und Sprecherin des Netzwerks. Sonja Kluths Ehepartner ist seit 2011 EU-Rentner (Pflegegrad 4).
Dr. Petra Köppel – Synergy Consult
Dr. Petra Köppel ist Volkswirtin und promoviert in Personal und Organisation. Als Inhaberin des Beratungsunternehmens Synergy Consult begleitet sie Unternehmen bei der Einführung, Weiterentwicklung und Erfolgserhebung von Diversity Management, um vor allem den Business Case aufzubauen. Dabei steht die Gestaltung einer wertschätzenden Unternehmenskultur im Vordergrund. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher und Artikel zu Diversity und tritt als Kongresssprecherin auf. Zuvor war sie als Projektmanagerin bei der Bertelsmann Stiftung und im HR Management von deutschen Großunternehmen sowie in der Wissenschaft tätig.
Nicole Simba – Bezirk Oberbayern
Nicole Simba ist seit 2008 beim Bezirk Oberbayern (Verwaltung, kommunale Gebietskörperschaft, Bayern) beschäftigt. Hier baut sie aktuell einen neuen Fachbereich ‚Inklusion und Vielfalt‘ auf. Sie leitete die letzten drei Jahre ein abteilungsübergreifendes Projekt zur Erstellung eines Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention innerhalb der Bezirksverwaltung sowie den kameralen Einrichtungen. Davor setzte sie sich als Sozialplanerin für gleichwertige Lebensverhältnisse von Menschen mit Behinderungen in den oberbayerischen Regionen ein und wirkte bei den kommunalen ‚örtlichen Teilhabeplanungen‘ bzw. der Gestaltung eines inklusiven Gemeinwesens in Oberbayern mit. Simba war viele Jahre Geschäftsführerin eines ambulanten Dienstes der Offenen Behindertenarbeit in München.
O-Töne der Teilnehmer_innen
Was nehme ich heute mit?
- >90% der Behinderungen sind nicht sichtbar
- Schwerbehinderung hat viele (unsichtbare) Facetten
- Wege aus der Unsicherheit
- Das Thema positiv besetzen!
- Einen Privilegientest mit dem Vorstand machen
- Mitmachen – Mut machen – Blockaden aufheben
- Inklusion erfordert gutes Projektmanagement
- Die Stärken sollten mehr in den Blick genommen werden
- Ein Netzwerk zusammen mit der Schwerbehindertenvertretung anzustoßen
- Das Thema „Digitale Barrierefreiheit“
- Schulterschluss zwischen Diversity Management und Schwerbehindertenvertretung suchen
- Mit der eigenen Geschichte offen umzugehen
- Gerade Auszubildenden fehlt der Mut, über eigene Behinderungen zu sprechen
- Auf Augenhöhe bleiben, kein ‚unnötiges‘ Mitleid zeigen
Wie hat Dir die Synergiewerkstatt gefallen?
- Sehr interessante Vorträge und Anregungen
- Super, danke für den Austausch!
- Tolle Impulse von den vortragenden Personen
- Sehr gute Vorträge und Workshops
- Der Workshop braucht 60 Minuten. Die 45 Minuten gingen zu schnell vorbei.
- Wieder eine super Veranstaltung
- Technisch toll umgesetzt
- Sehr inspirierend und auch berührend, vielen Dank!
- Gewinnbringend
- Großartig und sehr motivierend
- Sehr gute Veranstaltung! Bunt und für alle etwas dabei.